Welches war die Inspiration zu diesem Projekt?
Zunächst ging es darum, die Vorgabe der Fachhochschule OST zu erfüllen und ein Thema für die im Lehrplan vorgesehene Praxisarbeit zu finden. Schon früh war klar, dass wir unser Augenmerk auf die Inklusion setzen werden. Ein Thema, mit dem wir uns nicht nur im Rahmen der Ausbildung, sondern von jeher in unserem Berufsumfeld beschäftigt haben.
Wie habt ihr diese Aufgabe angepackt?
Wir haben uns zunächst mit unserer Vorgesetzten, der Heimleiterin Jacqueline Eugster sowie der Studienleiterin Gaby Hahn abgestimmt und als Erstes das fünfköpfige Projektteam mit Mitstudierenden zusammengestellt. Danach haben wir den Weg hin zum eigentlichen Projektziel skizziert, nämlich die Erarbeitung von mehreren konkreten und realistischen Umsetzungsentwürfen in Sachen «Inklusion auf Gemeindeebene».
Anschliessend ging es darum, mit Vertretern der Gemeinde, namentlich mit Urs Rohner, dem Gemeindepräsidenten von Rehetobel, zu sprechen. Er hat vor allem betont, dass die Klientinnen und Klienten schon mehr als 80 Jahre zum Dorfbild gehören. Schliesslich ist Rehetobel sozusagen die Wiege der Stiftung Waldheim, die 1943 im Quartier «Holderen» das Licht der Welt erblickt hat. Und er hat uns die Türen zu Vereinen geöffnet, indem er uns die richtigen Kontakte vermittelt hat. Gerade das dörfliche Vereinsleben spielt in unserem Resultat eine wesentliche Rolle.
Welches war für euch persönlich die grösste Barriere, die ihr auf dem Weg zu eurem gemeinsamen Ziel überwinden musstet?
Eine besondere Challenge war es, die Praxisarbeit mit dem laufenden Studium und dem Arbeits- und Familienalltag unter einen Hut zu bringen. Schliesslich waren fünf Personen und damit auch fünf verschiedene Lebensumstände an der gemeinsamen Arbeit beteiligt. Man muss sich finden, sich organisieren, sich einigen, sich austauschen – das war ganz schön vielschichtig. Ein Vorteil war, dass die Thematik für jede und jeden von uns kein Neuland darstellte. Wir konnten unsere Erfahrungen und unser Wissen untereinander austauschen und gezielt in unsere Arbeit einfliessen lassen.
An dieser Stelle erlauben wir uns auch mal eine etwas provokante Frage aus Sicht der Klientinnen und Klienten: Ist Inklusion eine «Bring- oder Holschuld»?
Wir sind der Meinung, dass «Inklusion» auf jeden Fall eine zweiseitige Sache ist. Beide Seiten, die Klientinnen und Klienten des Wohnheims als auch die Gemeindemitglieder, müssen offen und bereit sein, aufeinander zuzugehen. Wir denken jedoch, dass es letztlich die Gesellschaft ist, die den ersten Schritt machen muss. Denn sie ist es, die durch ihre Haltung, ihre Werte und ihre Normen die Grundlage für das Miteinander legt. Unsere Aufgabe ist es wiederum, die Klientinnen und Klienten in der Dorfgemeinschaft sichtbar zu machen, damit das Bewusstsein für ihre Anliegen gestärkt wird und sich die gesellschaftliche Akzeptanz weiterentwickelt.
Wo oder wann stösst Inklusion am ehesten an ihre Grenzen?
Sagen wir es so: Wenn man Inklusion in absoluter Konsequenz und ohne Wenn und Aber umsetzen möchte, dann müsste man ja eigentlich alle Institutionen oder Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung per sofort schliessen und abschaffen. Dann wären alle Menschen auf einen Schlag inkludiert und es gäbe keine Unterschiede mehr. Wenn man sich einen solchen radikalen Gedanken vor Augen hält, stellt man natürlich sofort fest, dass dies keine Option ist. Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind darauf angewiesen, dass sie ihr Leben in einem für sie zugeschnittenen Lebensraum mit adäquater Begleitung gestalten können. Es stellt sich heute einfach die Frage, inwieweit sich Gesellschaft und Wohnheime öffnen und näherkommen können, sodass eben keine sogenannten «geschlossenen Welten» mehr vorhanden sind.
Ganz gleich, ob auf kommunaler Ebene oder gesamtschweizerisch: Inklusion kann letztlich nur so weit stattfinden, wie es die jeweiligen Gegebenheiten zulassen. Das fängt bei normativen Aspekten wie Akzeptanz an, geht von der Gesetzgebung weiter bis hin zu baulichen Vorgaben. Hier können überall Grenzen bestehen – Grenzen, die sich jedoch nach und nach verschieben lassen. Nicht zuletzt soll unsere Arbeit dazu einen Beitrag leisten für eine Welt, die eines Tages völlig selbstverständlich inklusiv denkt, inklusiv handelt oder inklusiv baut.
Die Stiftung Waldheim ist seit 1943 ein Teil der Gemeinde Rehetobel. Wie viele Jahre braucht es noch, um diesen Sollzustand zu erreichen?
Also, wenn ich die heutige Situation mit jener von 1943 vergleiche, muss ich schon sagen, dass sich vieles, sehr vieles geändert hat und wir äusserst progressiv unterwegs sind. Aber es gibt immer noch Luft nach oben was die Akzeptanz und die Integration von Menschen mit Beeinträchtigung anbelangt. Ich sage es ganz offen – es passiert immer noch, dass ich während der Ausübung meiner Betreuungsaufgabe im öffentlichen Raum stigmatisierende Blicke wahrnehme, die sich auf uns richten.
Wenden wir uns eurer Abschlussarbeit zu. Könnt ihr uns aus dem breiten Katalog an Umsetzungsentwürfen ein konkretes Beispiel nennen?
Wir haben erkannt, dass die Vereinskultur in einer Gemeinde die ideale Brücke zwischen Wohnheim und Dorfleben darstellt. In diesem Zusammenhang war das Gespräch mit dem Landfrauenverein Rehetobel sehr bemerkenswert. Wir haben gemeinsam verschiedene Ideen entwickelt und zu Papier gebracht. Dazu gehört ein gemeinsamer und öffentlicher Bastelnachmittag in unserem Wohnheim, der wirklich allen Gemeindemitgliedern, vom Kind bis zum Erwachsenen, offensteht. Das wäre ein Moment der Begegnung, wie ich ihn mir in der vorhin erwähnten Idealwelt vorstelle.
Eure Projektarbeit ist nun abgeschlossen. Könnt ihr schon ein Fazit ziehen?
Eines ist klar: Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Wohnheime oder Institutionen nicht Gefahr laufen, zu geschlossenen Welten zu werden. Niemals sollte bei einer Klientin oder einem Klienten das Gefühl aufkommen, in einer gesonderten Welt zu leben, in der man vom Rest der Gesellschaft isoliert ist und sich als Aussenseiter wähnt. Denn zur Entwicklung einer Persönlichkeit und eines guten Selbstwertgefühls gehört es nun mal, die Nähe sowie die Akzeptanz und nicht zuletzt auch die Zuneigung seiner Mitmenschen zu spüren und zu erhalten.
Steter Tropfen höhlt den Stein – es hat sich bestätigt, dass gesellschaftliche Veränderungen einfach ihre Zeit brauchen, ganz gleich um welches Thema es geht. Entscheidend ist, dranzubleiben, an den Erfolg zu glauben und sich über Zwischenerfolge zu freuen.