Wann ist nah zu nah?

Die Stiftung Waldheim setzt auf einen klaren Verhaltenscodex zum Schutz vor grenzverletzendem Verhalten.

Darüber spricht kaum jemand – sexuell motiviertes Fehlverhalten im Heimalltag: Es ist ein Tabu, dass wir brechen möchten, denn schweigen schützt die Falschen. Kürzlich haben die Kadermitarbeitenden intensiv über unseren neuen Verhaltenscodex zum Schutz der Klientinnen und Klienten diskutiert und diesen gemeinsam verabschiedet. Denn Gewalt – sei sie psychisch, physisch oder sexuell – darf keinen Platz haben. Gemeinsam setzen wir ein klares Zeichen: Hinsehen, handeln, schützen. Auf diesem Weg begleitet uns Miriam Staudenmaier von «Limita», der Zürcher Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung.

Menschen mit Beeinträchtigungen sind oft besonderen Risiken und Herausforderungen in ihrem Wohnumfeld ausgesetzt. Dazu gehört auch das Thema «Grenzen wahrender Umgang und Prävention sexueller Gewalt». Tatpersonen nutzen es aus, dass Menschen mit Beeinträchtigung in vielen Alltagssituationen auf Unterstützung angewiesen sind. Meist denken sie, dass sich ein potenzielles Opfer nicht wehrt oder andere Menschen ihm nicht glauben, wenn es um sexuelle Grenzverletzungen geht – umso wichtiger ist es, für Sicherheit, Schutz und ein respektvolles Miteinander zu sorgen.

Warum besteht bei Menschen mit Beeinträchtigungen ein erhöhtes Risiko?

Einige Menschen haben mehr Entscheidungsfreiheit als andere, während manche auf Unterstützung angewiesen sind. Das können potenzielle Tatpersonen ausnutzen. Menschen mit Beeinträchtigungen haben in vielen Fällen Schwierigkeiten, Übergriffe zu erkennen, darüber zu sprechen oder sich verständlich zu machen.

  • Abhängigkeitsverhältnis
  • Pflegesituation
  • verbale Ausdrucksmöglichkeit
  • vermeintliche Geschlechtslosigkeit
  • kein stabiler Intimbereich
  • weniger unabhängige soziale Kontakte
  • Anpassung an Kontaktperson

Besonders gefährdet: Frauen mit Beeinträchtigung
Studien zeigen, dass Frauen mit Beeinträchtigung einem besonders hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer sexualisierter, körperlicher oder psychischer Übergriffe zu werden – unabhängig davon, ob sie in einer Institution oder im privaten Umfeld leben. Die Tatpersonen stammen dabei meist aus ihrem direkten Umfeld: Partner, Familienangehörige, Betreuungspersonen oder Mitbewohnende. Umso wichtiger ist es, Schutzmechanismen zu stärken und Frauen mit Beeinträchtigungen gezielt zu empowern.

Woran erkenne ich, dass eine Person mit Beeinträchtigung von Übergriffen betroffen sein könnte?

Betroffene sprechen oft nicht über das Erlebte – sei es aus Angst, Scham oder Unsicherheit. Deshalb ist es entscheidend, dass Bezugspersonen sensibel auf mögliche Anzeichen achten, um helfen zu können.

Mögliche Hinweise auf Übergriffe:

  • Plötzliche Ängstlichkeit, zwanghaftes oder distanzloses Verhalten
  • Schmerzen, Schlafstörungen oder ungeklärte Beschwerden
  • Anzeichen von Depression oder selbstverletzendem Verhalten
  • Verweigerung, aggressives Verhalten
  • Sichtbare Verletzungen ohne schlüssige Erklärung
  • Rückzug aus sozialen Kontakten oder auffällige Ausreden für Verletzungen

Was können wir tun und wie gestalten wir die Prävention?

Der wirksamste Schutz vor Missbrauch ist, potenziellen Tatpersonen klare Grenzen zu setzen und das Risiko für Übergriffe gezielt zu minimieren. Entscheidend dabei ist, die Schwellen für mögliches Fehlverhalten so hoch wie möglich zu setzen.

  • durch Verlangen von Strafregister-/Sonderprivat-Auszug
  • durch die Einführung eines Verhaltenskodex
  • durch entsprechende Reflexionsgefässe auf allen Systemebenen
  • durch eine gelebte Feedback- und Lernkultur
  • durch regelmässige Schulungen um Achtsamkeit zu schaffen

(Limita 2025)

Nullrisiko ist nicht möglich, umso wichtiger ist die gemeinsame Risikoanalyse. Benannte Risikosituationen lassen sich transparent, rollenklar und konkret besprechen und gestalten.

Weitere Informationen und fachliche Unterstützung bietet Limita, Fachstelle zur Prävention sexueller Ausbeutung.